Mexiko - Das Land der Kleinunternehmer

Im Jahr 2009 waren 95,5% aller mexikanischen Unternehmen Kleinstunternehmen, was bedeutet, dass sie weniger als 10 Beschäftigte hatten. Diese Zahl ist beeindruckend und typisch für die Unternehmenslandschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ist diese Tatsache nun Fluch oder Segen für das Land? Zum Vergleich: In Deutschland waren im Jahr 2012 80% der Unternehmen Kleinstunternehmen und 0,7% Großunternehmen. Den Rest formte der bewährte deutsche Mittelstand. Interessant für die Analyse ist es zu sehen, wie wichtig die Struktur der Unternehmenslandschaft für das gesamtwirtschaftliche Wohl ist. Auch wenn die absolute Zahl der Großunternehmen gering ist, generieren sie normalerweise die Mehrheit der Arbeitsplätze und des BIPs, wie den Grafiken unten zu entnehmen ist. Aus diesen ist aber auch ersichtlich, dass in Mexiko der Mittelstand, der in Deutschland enorme Bedeutung für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung hat, fehlt. Stattdessen sind die Kleinstunternehmen sehr wichtig, da sie fast 46% der Bevölkerung beschäftigen. Leider scheinen diese Mikrounternehmen nicht sehr produktiv zu sein, denn fast das ganze BIP wird von Großunternehmen generiert. Kleinstunternehmen der Fertigungsindustrie tragen nur 2,4% zum mexikanischen Inlandsprodukt bei. Was bedeutet das für die Volkswirtschaft?

Zunächst bedeutet es, dass es scheinbar eher ineffizient ist in vielen kleinen Ein- bis Zehn-Mann-Betrieben zu arbeiten, denn es erfolgt weniger Arbeitsteilung, man hat oft weniger Kapital für wichtige Investitionen sowie weniger Know-how und Technologie. Zudem bedeutet es eine sehr ungleiche Verteilung des Einkommens, denn die Tatsache, dass so wenig volkswirtschaftliches Einkommen in Mikrounternehmen generiert wird, bedeutet auch, dass die Menschen in diesem Bereich nicht sonderlich gut verdienen. Das Problem des Produktivitätsmangels lässt sich auch auf die Öffnung der mexikanischen Wirtschaft beziehen. Seit den 90er Jahren verfolgt die mexikanische Regierung einen neoliberalen wirtschaftlichen Kurs. Besonders das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (NAFTA) wird in Mexiko heiß diskutiert. Viele Leute sind der Meinung, dass das Freihandelsabkommen eine schlechte Entscheidung für Mexiko war. 

Empirische Studien belegen jedoch, dass die mexikanische Wirtschaft durchaus durch mehr Handel und neue Arbeitsplätze im Fertigungsbereich, besonders im Norden des Landes, nahe den USA, profitierte. Dennoch ist die Volksmeinung oft eine andere, da viele Leute die negativen Folgen zu spüren bekamen. Während einige bestimmte Regionen und Industrien durchInvestitionen aus den USA und verbesserte Exportchancen als klare Gewinner hervorgingen, waren andere Bereiche Verlierer. Ein gutes Beispiel ist der Agrarsektor in Mexiko, welcher im Vergleich zur High-Tech-Agrarindustrie der USA eher kleinbäuerlich geprägt ist. Die Bauern Mexikos waren, wie andere Sektoren die besonders vom Kleinstunternehmertum und wenig Dynamik geprägt sind, die klaren Verlierer der wirtschaftlichen Öffnung, während sie gleichzeitig für viele Menschen als Broterwerb dienten. Die Kleinbauern konnten nicht mit der hochproduktiven Industrie der USA mithalten und billige Lebensmittel schwemmten den mexikanischen Markt.

Während man als Vorteil die günstigeren Lebensmittelpreise für Konsumenten anführen kann, sahen die Bauern von einem Tag auf den anderen ihre Lebensgrundlage schwinden. Man muss nicht generalisieren, dass die wirtschaftliche Öffnung Mexikos schlecht war, aber leider etwas unüberlegt und schnell, denn es gab keinen Plan B für die vielen Leute, die negativ betroffen waren. Zum einen könnte man ökonomisch argumentieren, dass so die unproduktiven Sektoren aufgegeben werden müssen, während die produktiven und wettbewerbsfähigen florieren und neue Arbeitsplätze bieten. Doch warum leben dann heute, 20 Jahre nach der Einführung von NAFTA, immer noch 60% der Mexikaner in Armut? Wenn die Tendenz in Richtung produktiver und wettbewerbsfähiger Sektoren gehen soll, ist das sicher insgesamt positiv für die Gesamtwirtschaft. Die Frage ist, wie werden diese Früchte der gesteigerten Produktivität verteilt?

Denn man mag argumentieren, dass die Kleinbauern, die vielen Tante Emma-Läden und Verkaufsstände sowie die Ein-Mann-Werkstätten unproduktiv sind, doch sie sorgen für das täglich Brot der Hälfte aller Mexikaner. Mehr Produktivität bedeutet mehr Investition in Technologie, Fertigungsstätten und Logistik sowie Großgrundbesitz. Auch wenn dadurch das BIP wachsen würde, die Früchte ernten die Investoren, die Zugang zu Kapital haben. Der kleine Mann bleibt dadurch wahrscheinlich auf der Strecke, denn die Löhne in Mexiko sind niedrig. Sie sind der Grund, warum das Land so billig produzieren kann und durch die Fülle an Arbeitskraft und korrupten Gewerkschaften sind die Arbeitnehmer in einer schlechten Verhandlungsposition. Keine Frage: Walmart ist effizienter als der Tante-Emma-Laden, aber der Tante-Emma-Laden ernährt im Vergleich zu Walmart einen großen Teil der mexikanischen Gesellschaft. Viele Leute entscheiden nicht Unternehmer zu werden, weil sie die unternehmerische Tätigkeit im Blut haben, sondern aus Not und Improvisation.


Denn wenn der Arbeitsmarkt einem keine Chancen bietet, wird man eben zum Kleinunternehmer und schlägt sich so durchs Leben. Was der mexikanischen Gesellschaft sicherlich fehlt um mehr aus ihrer Wirtschaft zu machen ist mehr Solidarität, faire Löhne, bessere Bildungschancen und Qualifikationen für alle, Zugang zu Kapital für Kleinunternehmer, mehr Produktivität und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen. Das Land hat sicher großes Potential, aber die Strukturen sind rigide und Interessenskonflikte zwischen Arm und Reich dominieren das Bild. Somit ist die Dominanz der Mikrounternehmen Fluch und Segen zugleich. Während sie vielen Menschen eine Lebensgrundlage bieten, bleibt wirtschaftliches Potential ungenutzt und Ressourcen bleiben schlecht verteilt. Dadurch leben viele Leute eher schlecht als recht.

Beitrag von Anna-Lena Schmid (2015)


Mexiko besitzt mehr Kleinunternehmen als große Unternehmen. Das ist ein sehr interessantes Phänomen, welches Anna-Lena Schmid in Ihrem Bericht näher analysiert hat. Hierbei geht sie auf die gesellschaftliche Position von Kleinunternehmen ein sowie ihre Anerkennung der Bevölkerung.