Europa vs. Lateinamerika


Ähnlicher als man denkt— was Kreta und Mexiko gemeinsam haben

Heute kommt die kreative Muße meiner Feder aus Kreta, wo ich gerade Urlaub mache. Schon bei der Ankunft umgab mich ein wohliges Gefühl des Vertrauten und Gemissten. Komisch, denn es ist mein allererstes Mal in Griechenland. Der Weg von Hiraklion zu unserem Urlaubsort Skaleta zieht sich durch staubige, hügelige Landschaft, zu unserer Rechten das Meer. An den Seitenrändern der Straße wachsen pinke Blumensträucher: Gibt es die nicht auch in Mexiko, frage ich mich. Darauf folgen einige Kakteen und ich denke: Wahnsinn, wie die Kakteen es seit der Kolonialisierung vom amerikanischen Kontinent (hauptsächlich Mexiko) sogar bis nach Kreta geschafft haben. Am Straßenrand steht ab und an eine verstaubte Autokarosse und hin und wieder erblickt man Bauruinen, die nie fertig gebaut wurden, ganz wie in Mexiko. Als ich dann auch noch die auf mexikanisch genannten „tinacos“, die schwarzen Wasserbehälter auf den Dächern der Häuser entdecke, ist für mich endgültig die Diversität Europas bestätigt. Ich fühle mich hier ganz weit weg von Deutschland und ganz nah an Mexiko.

Super, dann kann der Urlaub ja losgehen! Natürlich haben Mexiko sowie Kreta ihren ganz eigenen Charakter und dennoch möchte ich im Folgenden über ein paar kuriose mehr oder weniger naheliegende Gemeinsamkeiten philosophieren:

1. Was in Mexiko die Hunde sind, sind auf Kreta die Katzen:

Wir pakilis, die wir in Cholula leben oder gelebt haben, wissen genau wovon wir sprechen, wenn es um Mexikos Straßenhunde geht. Cholula ist bekannt für seine vielen Straßenhunde, die überall unterwegs sind und einem auch mal im Rudel begegnen. Wenn man in Kreta durch die Städte schlendert, sieht man überall Katzen. Sie verkörpern etwas Gemütliches, wenn sie sich in einem Hof oder auf einer Mauer in der Sonne fläzen. Einige erscheinen gut gepflegt, andere führen wohl auch ein Leben auf der Straße, so wie die Hunde in Cholula.

2. Religion und Jesusbilder:

Während in Griechenland die orthodoxe Kirche vorherrscht und Mexiko römisch-katholisch ist, sind beide Länder sehr religiös. Man kann Alt und Jung in den pompösen Kirchen beobachten, wie sie tiefgläubig ihre Heiligen verehren. Auch bunte Jesusbilder, die manch Deutscher vielleicht als kitschig bezeichnen würde, findet man als Dekoration in den Haushalten beider Länder und ich muss sagen, sie haben verblüffende Ähnlichkeit.

3. Handwerkstradition

Auch was das Handwerk angeht hat Kreta wahnsinnig viel zu bieten und die Ähnlichkeit der Webarbeiten zu den Mustern mexikanischer Stoffe oder der bemalten Keramik und Töpferkunst zum mexikanischen Traditionshandwerk „Talavera“ lässt mich schmunzeln. Natürlich haben beide Orte ihren eigenen Stil, aber wer hätte gedacht, dass sich hier solche Ähnlichkeiten finden. 

4. Pflanzen

Neben den bereits erwähnten Kakteen, wachsen hier diverse Blumen, die auch in Mexiko vielerorts vorzufinden sind. Das Klima scheint ähnliche Vegetation zu begünstigen, wobei beide Regionen dennoch so einzigartig sind, dass sie eine Vielzahl endemischer Pflanzen beheimaten. Was einen in Kreta aber an Mexiko erinnert, sind zum Beispiel die wunderschönen Bugambilias, die ursprünglich aus Südamerika stammend, in Mexiko zu Hauf anzutreffen sind und so auch hier auf der Insel Kreta. Außerdem werden natürlich diverse Gaumenfreuden mexikanischen Ursprungs verzehrt. Während jedermann weiß, dass die mediterrane Küche viel mit Tomaten kocht, wissen die wenigsten, dass diese sowie die Avocados, die hier reif von den Bäumen hängen, ihren Ursprung in Mexiko (und teils in anderen lateinamerikanischen Ländern) haben. Tatsächlich nutzt fast die ganze Welt heute Bezeichnungen, die von den aztekischen Begriffen „Xitomatl“ und „Ahuacatl“ abgeleitet wurden. Aber Tomate ist nicht gleich Tomate. Diesen Genuss in eine sonnengereifte, frische Tomate zu beißen, kann man in Deutschland höchstens nachvollziehen, wenn man im Sommer selbst vom Tomatenstrauch im Garten erntet. Auf Kreta ist die Qualität der frischen Produkte unglaublich gut. Alles hat einen sehr starken Eigengeschmack. Die Fruchtbarkeit der Insel wurde ihr in ihrer langen Geschichte zum Verhängnis, da sie dadurch nicht nur geopolitisch attraktiv für viele Großmächte war, sondern auch aufgrund ihrer guten Anbaubedingungen, weshalb die kretischen Bauern unter den zahllosen Belagerungen hohe Steuern zahlen mussten.

5. Turbulente und unvorstellbar reiche Geschichte

Kreta sowie Mexiko blicken auf eine jahrtausende alte Geschichte mit zahllosen Rivalitäten und Eroberungen zurück. Deshalb sagt man den Kretern genau wie den Mexikanern eine ausgeprägte Abneigung gegen ausländische Intervention und ein starkes Nationalbewusstsein (im Falle von Kreta eine stärkere Identifikation mit der Insel, als mit dem Festland) nach. Zu oft in der Geschichte wurden sie Spielball von Übermächten. Die Fehden in beiden Regionen reichen zurück bis in ihre frühe Geschichte, wo sich vor tausenden von Jahren verschiedene präkolumbianische Völker in Mexiko kriegerische Auseinandersetzungen lieferten und auf Kreta die friedliche Zivilisation der Minoer durch das Einfallen der Mykener und anschließend der Dorer gestört wurde. Mexiko wurde im Anschluss an die internen Fehden von den Spaniern erobert, während Kreta verschiedene, mehrfach wechselnde Belagerungen verschiedener Großmächte durchmachte: die durch die Römer, Venezianer, Byzantiner, Araber und Osmanen. Auch können beide Regionen auf einen unerwünschten, deutschen (bzw. österreichisch/französischen) Einfluss zurückblicken. In Mexiko wurde 1864, auf Wunsch Napoleons, der Habsburger Maximilian, der Bruder des österreichischen Kaisers auf den Thron gesetzt, um die konservativen Kräfte im Land gegen einen liberalen Aufbruch zu stärken und im französischen Sinne eine an Frankreich gebundene Monarchie zu errichten. Dieser aufgezwungene Kaiser, war jedoch von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gewollt und konnte seine Macht nicht lange halten, auch wenn er versuchte, diese militärisch gegen den Einfluss der liberalen Gegner zu verteidigen. Am Ende siegten die liberalen Kräfte mit Benito Juárez als Präsident. Kreta wurde im zweiten Weltkrieg Opfer einer deutschen Besatzung. Während Griechenland zunächst eisern versuchte die Neutralität zu wahren, erlaubte der König nach dem Tod des regierenden Diktators britische Stützpunkte auf Kreta. Dies führte zum Angriff der Deutschen, für welche eine gesicherte Südflanke der Balkanregion strategisch wichtig war, um den Einfall in die Sowjetunion zu ermöglichen. Die Deutschen nahmen Kreta erfolgreich ein und gingen brutal gegen Alliierte und Zivilbevölkerung vor. Die Besatzung dauerte 4 Jahre, bis zur Beendigung des zweiten Weltkriegs. Entsprechend ihrer jahrtausendealter, turbulenter Geschichten findet man auf Kreta sowie in Mexiko noch immer, Relikte, Tempel und Bauwerke dieser Zeiten, was einen Besuch besonders spannend macht.

6. Sprache und Mentalität

Wie oft in südlichen Ländern, geht es in Mexiko und auch auf Kreta etwas gemütlicher zu. Das mag mit der Sonne und dem Meer zu tun haben, die einen einfach in eine andere Stimmung versetzen. Die Wirtschaft beider Regionen ist stark auf den Tourismus gestützt. Daher sind es die Leute gewohnt, jährlich viele ausländische Urlauber zu empfangen, die natürlich nicht immer die Landessprache sprechen. Beide Kulturen sind Ausländern gegenüber geduldig und hilfsbereit. Doch hier wie dort wird ein gewisser Respekt der eigenen Kultur gegenüber wertgeschätzt. Mein Griechisch hält sich zugegebenermaßen in Grenzen, doch es ist schön zu sehen wie ein „Efcharistó“ (Danke) den Kretern ein breites Lächeln aufs Gesicht zaubert. Das erinnert mich stark an meine holprigen Spanischversuche zu Beginn meines ersten Aufenthalts in Mexiko.

7. Improvisation

Beide Regionen haben wundervolle alte Architektur zu bieten. Das Motto lautet hier: Es wird nur renoviert, was renoviert werden muss. In den kretischen, touristischen Städten schlendert man durch die Gassen und die venezianischen Häfen, vorbei an schick renovierten Läden und Restaurants. Richtet man den Blick nach oben, sieht man, dass die Renovierung genau da aufhört, wo auch das Restaurant aufhört. Zugegeben, das hat einen ganz eigenen Charme. In Mexiko ist es keine Seltenheit ein schön bunt gestrichenes Haus zu bewundern, während einem auf den zweiten Blick auffällt, dass das nur die Fassade ist. Dahinter verbirgt sich ein weniger liebevoll gestalteter Betonklotz oder ein altes unrenoviertes Gebäude. Aber immerhin, das ist die Kunst der Improvisation aus begrenzten Mitteln das Beste zu machen und hat wie gesagt auch seinen Charme 

Das war meine kleine Reise durch meine Gedankenwelt in Kreta, welches mich offensichtlich an meine zweite Heimat Mexiko erinnert. Selbstverständlich hat es viele eigene Charakterzüge, aber man entdeckt auch ein paar Gemeinsamkeiten. Auf jeden Fall ruft der Aufenthalt in beiden Ländern ein wohliges Bauchgefühl hervor und das Gefühl sich ganz weit weg von Deutschland zu befinden. Genau das, was man im Urlaub braucht.

Die Kontinente könnten nicht unterschiedlicher sein. Durch unzählige Reisen haben wir viele verschiedene Orte entdeckt, die im Vergleich doch viele Parallelen aufweisen. Dies war eine besonders spannende Erfahrung und aus diesem Grund wollten wir hier einen Bericht zum Vergleich vorstellen. Entdeckt zwei sehr verschiedene Kontinente im Vergleich.